Einer Einladung der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Ulrike Lunacek, nach Brüssel folgten 20 Wirtschaftsweiber im März 2016. Wir erhielten Einblicke in die europäische Politik und in die Unterschiede zwischen nationaler und internationaler Gesetzgebung. Dazu standen aktuelle frauenpolitische Themen auf der Agenda.
Lunacek setzt auf lesbische Sichtbarkeit
Unsere Gastgeberin, Ulrike Lunacek, berichtete über ihr frauenpolitisches Engagement, die Chancen, aber auch die Hürden für die politische Arbeit auf europäischer Ebene. Ein besonderes Anliegen ist ihr die Ratifizierung der 2. Antidiskriminierungs-Richtlinie. Die sei notwendig, um den Schutz vor Diskriminierung zu erhöhen. In Deutschland sehe das AGG bereits einen weitgehenden Schutz vor. Dennoch beträfe die Initiative auch deutsche Staatsbürger_innen. Arbeiten sie im europäischen Ausland, ist nämlich längst nicht sicher gestellt, dass sie den gleichen Schutz wie in ihrem Heimatland erfahren würden. Hier gilt es, eine europäische Verantwortung wahrzunehmen.
Sie hob hervor, wie wichtig lesbische Verbände wie die Wirtschaftsweiber sind: “Ohne lesbische Sichtbarkeit gewöhnen die anderen sich nicht daran, dass es uns gibt”.
Asylschwierigkeiten für LSBTI-Flüchtlinge
Beim Gespräch mit der Abgeordneten Terry Reintke, die für die deutschen Grünen im Europaparlament sitzt, ging es im Schwerpunkt um Flüchtlingspolitik, insbesondere den Umgang mit LSBTI-Flüchtlingen. Nach wie vor sei es für diese schwierig, in Europa Asyl zu bekommen, wenn sie in ihrem Herkunftsland keiner unmittelbaren Verfolgung durch staatliche Institutionen ausgesetzt sind. Auch wenn sie nicht direkt verfolgt werden, erhalten sie oftmals keinerlei Schutz durch Polizei und Justiz, wenn sie Gewalt erfahren. Reintke machte klar, dies sei ebenfalls eine Form von Verfolgung.
Zudem berichtete Reintke von ihrer Arbeit im Frauenausschuss des europäischen Parlamentes. Bislang scheitere die wichtige Quote für Aufsichtsräte auf europäischer Ebene am Widerstand des Europarats.
Ausbau von Rechten dringend nötig
Julia Reda vertritt die Piratenpartei im Europaparlament. Mit ihr diskutierten die Wirtschaftsweiber, wie wir als Gesellschaft mit Hate Speech im Internet umgehen wollen. Eine wichtige Frage ist dabei z. B. inwieweit Internet-Plattformen eine aktive Rolle bei der Bekämpfung von strafrechtlich relevantem Verhalten im Netz übernehmen müssen. Eine Frage, die trotz einiger Initiativen z. B. von Facebook, bis heute noch nicht wirklich geklärt ist.
Alle drei Politikerinnen waren sich einig: Gemeinsam müssen wir daran arbeiten, den bisher erreichter Diskriminierungsschutz weiter auszubauen und nicht – durch zunehmende rechte Kräfte – wieder einschränken zu lassen.
Auch die Programmdirektorin der European Women’s Lobby, Serap Altinisik, bestätigte diesen Trend und plädierte für den Ausbau von Rechten:
Seit 2015 gibt es auf EU-Ebene keine verabschiedete Strategie der Europäischen Kommission zur Gleichstellung von Männern und Frauen. Weiterhin sei die Istanbuler Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt auf europäischer Ebene noch nicht gänzlich umgesetzt. Stand heute haben zwar 43 Staaten das Abkommen unterzeichnet, aber nur 22 haben es ratifiziert – auch Deutschland fehlt in der zweiten Liste.
Neben dem politischen Austausch blieb noch Zeit Kultur, Kunst und kulinarische Gaumenfreuden der europäischen Hauptstadt Brüssel zu erkunden.
Insgesamt waren es dichte Tage mit viel Input.